[Rezension] Robert Scheer: Pici - Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück

Das Buch

2014 reist der wahldeutsche Autor Robert Scheer nach Israel, um dort seine Großmutter Elisabeth Scheer, genannt Pici, über ihre Kindheit und Jugend zu befragen. Pici feiert in dem Jahr ihren 90. Geburtstag. Ihrem Enkel gegenüber gibt Pici Auskunft, wie sich in den 1940er Jahren durch den Nationalsozialismus die Lage für die jüdische Bevölkerung in Ungarn verschlechterte. Sie berichtet über ihre furchtbaren Erlebnisse in den Ghettos Carei und Satu Mare, im Konzentrationslager Auschwitz, im berüchtigten Außenlager Walldorf, im Konzentrationslager Ravensbrück und im mecklenburgischen Rechlin, bis sie 1945 im mecklenburgischen Malchow befreit wurde. Pici's Eltern, ihre Schwestern, ihr Bruder, ihr Schwager und ihre kleine Nichte wurden im Holocaust ermordet.

Ihre detailreichen Erinnerungen machen es den Leserinnen und Lesern leicht, sich das Leben in der damaligen Zeit vorzustellen, in der es Alltag und Familie gab, später dann Unmenschlichkeit und Vernichtung und nur vereinzelt auch Mitgefühl und Solidarität. 2015 stirbt sie mit 91 Jahren.

Das hat mir gefallen:

Robert Scheer trifft den Leser durch seine Art zu schreiben direkt ins Herz, denn Pici's Geschichte wird von ihr selbst erzählt - mit nur wenigen Unterbrechungen durch den Autor. Es ist also regelrecht ein Bericht einer Überlebenden. Nichts wird beschönigt oder verschwiegen. So bekommt man als Leser einen detailreichen Einblick in das Leben einer Jüdin zu Zeiten des Holocaust. Die Täter werden ganz klar als Täter beschrieben, ohne Entschuldigungen, ohne Rechtfertigungen. Dies gewährleistet einen tieferen Einblick in die deutsche Geschichte als jedes 08/15-Geschichtsbuch. Mit jeder Seite, die man liest, wird es emotionaler, berührender. Vor allem die Erinnerung an so viele Opfer des Holocaust durch die ganzen Namen, an die Pici sich noch erinnert, hat mir beim Lesen sehr gefallen - denn all diese Menschen sollten nicht vergessen werden.

 

Durch den Aufbau des Buches fällt der Einstieg in Pici's Lebensgeschichte sehr leicht. Die Kapitel sind nach verschiedenen Personen oder Erlebnissen eingeteilt, sodass man sich als Leser schnell zurecht findet. Das Ganze wird unterstützt durch abgedruckte Dokumente und Fotos. Gerade die Fotos lassen die Personen aus Pici's Leben noch realer werden - dadurch wird dem Leser bewusst vor Augen geführt, dass es sich um tatsächliche Opfer handelt.

 

Besonders gut gefallen hat mir am Ende noch das Literaturverzeichnis, das den Leser bei tiefergehendem Interesse eine eigene Nachforschung möglich macht. Für mich als Geschichtsstudentin ist das natürlich etwas, bei dem ich nicht widerstehen kann das ein oder andere Buch mal in die Hand zu nehmen!

Das hat mir nicht so gut gefallen:

Wie bereits erwähnt sind im gesamten Buch Dokumente und Fotos abgebildet. Leider sind sie zum Teil sehr klein und vor allem bei den Dokumenten hätte ich mir größere Abbildungen gewünscht, sodass man sie problemlos lesen kann (oder eine Abschrift nach jedem Dokument).

Zitate

"Das nächste Mal, wenn du nach Israel kommst, wirst du als Fremder hierher kommen."

"Nicht unbedingt als ein Fremder, aber als deutscher Staatsbürger."

"Das Leben ist interessant", sagte Pici. "Bald bist du Staatsbürger des Landes, welches meine ganze Familie ermordet hat."

(S. 29)

 

"Der Weg, auf dem wir gingen, war an beiden Seiten von Stacheldraht umgeben. Um den Zaun hüpften Frauen. Und da dachte ich mit Anerkennung an die Deutschen, die diese kahlköpfigen Wahnsinnigen eingesperrt hatten! Kurz danach sahen auch meine Schwestern und ich so aus."

(S. 130)

Fazit

Dieses Buch erzählt die Geschichte einer Überlebenden des Holocaust - mit diesem Gedanken im Hinterkopf sollte man es also auch lesen. Es ist definitiv keine "leichte Lektüre" für Zwischendurch, sondern ein ernstes Thema, das einen nach so vielen Jahren immer noch emotional sehr tief berührt. An vielen Stellen war für mich eine Pause notwendig, um das Gelesene zu verarbeiten und zu verstehen - oder es zumindest zu versuchen. Für jeden, der sich für Einzelschicksale aus dem 2. Weltkrieg interessiert, ist dieses Buch sehr zu empfehlen!

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